Montag, 29. September 2014

Der Reitlehrer oder Die Eierlegende Wollmilchsau

Mal Hand aufs Herz: Wie oft habt ihr schon über euren Reitlehrer oder eure Reitlehrerin gemeckert? Jeder hat das schon mindestens einmal getan. Er (ich bleibe der Einfachheit halber mal bei der männlichen Variante) sei ein Idiot, hat keine Ahnung und schon gar nicht von meinem Pferd und außerdem kann der MIR ja sowieso nichts beibringen. Seine Stunden sind reine Zeit- und Geldverschwendung und das Pferd geht seitdem viel schlechter.
Hm. Bei einigen Exemplaren mag das durchaus zutreffen, aber sollten wir nicht hinterfragen, ob es nicht ein ganz klitzekleines Bißchen an uns selber liegt, wenn man im Unterricht nicht zurechtkommt?
Ich kenne beide Seiten der Medaille. Einmal als Reiterin, der das Wohl ihres Pferdes absolut am Herzen liegt (durchaus mehr als das eigene) und einmal als Ausbilderin, die wortreich versucht, ihren SchülerInnen das Geschehen im Dressurviereck etwas näher zu bringen.
Und ich komme zu dem Schluss: Beide haben es schwer. Dem Reitschüler wird jemand vor die Nase gesetzt, dessen Wort ab sofort Gesetz in der Bahn ist. Dem Reitlehrer werden Schüler präsentiert, die vieles besser wissen, mit der Methode nicht klarkommen oder/und einfach keinen Bock haben. Oder dem Vorgänger nachtrauern und deshalb jeden Neuling per se skeptisch gegenüberstehen. Oder einfach seine Sprache nicht verstehen -Stichwort Dialekte, Nuscheln oder einfach nur sehr leise sprechen.
Ja, und dann? Was soll er alles können, der perfekte Reitlehrer?

  • Erstmal muss er in der Lage sein, hippologische und reiterliche Qualität auf den ersten Blick zu erkennen und dementsprechend ehrführchtig auf den Schüler einwirken. Der Schüler ist König und das Pferd ist sein majestätisches Ross. Und danach kommt erstmal lange nichts.
  • Er muss jederzeit körperlich in der Lage sein, sein Können zu demonstrieren, egal ob auf dem majestätischen Ross, seinem eigenen Pferd oder auf einem Schulpferd.
  • Er muss idealerweise hoch entwickelte psychologische Fähigkeiten besitzen und die arme gestresste Hausfrau und Mutti auf dem Donnerhall-Nachkommen, der komischerweise nie über A-Niveau hinausgekommen ist (liegt aber nur am aktuellen Reitlehrer, niemals an der Reiterin!) genauso wohltuend therapieren wie den gutverdienenden Managertypen auf dem edlen Halbblüter, der am liebsten durchs Gelände brettert und dabei eine Urschreimethode zur Stressbewältigung ausprobiert, in der Reitstunde aber nicht viel mitbekommt, weil ihm sein Smartphone per Freisprechgerät einfach nicht in Ruhe lässt und er eigentlich schon wieder im Büro sein müsste. 
  • Er muss entstehende oder bestehende Erkrankungen am majestätischen Ross sofort und mit einem Blick erkennen, diagnostizieren und am besten auch behandeln können. Die Besitzerin des Pferdes muss ebenso professionell betreut, beruhigt und ggf. getröstet werden.
  • Er muss auf Zickenkriege und/oder Eifersuchtsszenen jederzeit deeskalierend einwirken bzw. solche bereits im Keim ersticken.
  • Er muss den Mütter der meist pubertierenden Reitschülerinnen stets hilfreich und zuvorkommend begegnen und sollte es niemals wagen, in deren Anwesenheit ihren Töchtern eine gewisse Talentfreiheit und/oder gewisse figürliche Defizite zu bescheinigen. Niemals. Wirklich niemals. 
  • Er muss dem Stallpersonal eine Leitfigur sein, besser noch eine hippologische Lichtgestalt und sollte sich nicht scheuen, selbige bei Fehlern vor der gesamten Einstellerschaft zur Schnecke zu machen. Das kommt beim Kunden gut an, er fühlt sich dann erhabener.
  • Reiterlich muss er selbst auf einem Turnier für den Verein oder Stall, den er leitet, glänzen und nachher am Bierzelt auch eine gute Figur machen. Das kommt beim Vorstand gut an.
  • etc, etc, etc, etc.
Man sieht, die Person des Reitlehrers ist eine eierlegende Wollmilchsau, die alles können und auf alles eine logische Antwort haben muss. Nun geht der Pferdewirt Schwerpunkt Reiten mit einem Durchschnittsgehalt von 1600,- € brutto (aktuell ergoogelt, Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel) nach Hause,das ist zum Leben zuwenig und zum Sterben zuviel. Grundlage hierfür ist übrigens tariflich eine 40-Stunden-Woche, und wir alle sollten ahnen, dass bei DEM Anforderungsprofil dieses bei weitem nicht zutrifft!
 Das sollte man auch mal bedenken, wenn man seine/n Reitlehrer/in mal wieder als eine/n ahnungslose/n Vollidioten/in bezeichnet. Obwohl, wenn man bedenkt, was man dafür für eine harte Ausbildung hingelegt hat und zu dem Tarif dann seine Brötchen verdient, der ist entweder ein hoffnungsloser, aber idealistischer und wirklich pferdeliebender Traumtänzer oder eben ein - Vollidiot, nach heutigen Maßstäben gemessen. ;-)
Anmerkung: Dies soll in keiner Weise despektierlich erscheinen. Die betroffenen Personen wissen schon, wie das gemeint ist.  Sollte das nicht alles in allem ein Anreiz sein, seinem eigenen Reitlehrer ein wenig mehr Respekt entgegenzubringen? Ich denke schon. :-)



Wer immer euch heute gute Tipps gegeben hat, ich hoffe, ihr habt ihn oder sie nicht angemotzt. 

Liebe Grüße (auch an alle KollegInnen)
vom Copinchen!

PS.: Hier noch ein paar Reitlehrersprüche, die ihr möglicherweise schon mal gehört habt:

 Das ist kein Schritt, das ist ein Schlich.

Für deine Hände brauchst du einen Waffenschein!

 Guck nicht runter - das Portemonnaie im Sand gehört sowieso dem Reitlehrer.

Von wegen "gemeinsamer Schwerpunkt" - dein Pferd würde seinen Schwerpunkt am liebsten nach draußen verlagern!

 So wird das nix, du reitest jeden Tag ein bisschen schlechter aber heute bist du geritten wie in einer Woche!

 RL: Das sieht unbequem aus!
Schüler: Wieso?
RL: Na dein Pferd schläft ohne Kissen!

 Hör auf zu schnalzen, wir sind hier nicht beim Schweine füttern!

 Die Reithalle ist bezahlt, du kannst die Ecken ruhig ausreiten!

 Schau nicht dauernd nach unten, ich sag dir schon, wenn dein Pferd nicht mehr da ist.

... und mein Lieblingsspruch: "Merket euch auf allen Wegen, reiten lernt man nur durch fegen!" :-)

Wer noch einen hat, kann ihn gerne als Kommentar unten anhängen! 

1 Kommentar:

  1. Kein Spruch, aber: Von allen meinen Reitlehrern und Reitlehrerinnen hab ich was gelernt. Von jedem ein bisschen was anderes. Nicht nur für die Zeit im Sattel, Disziplin und Selbstbeherrschung kann man auch woanders noch brauchen.

    Abbitte musste ich leisten, als ich selbst ein bisschen unterrichtet habe. Der Kasernenhofton, den man so in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts in vielen Reitstunden pflegte, schlich sich auch bei mir ziemlich schnell ein - und zwar, weil man auf die Distanz nicht anders eingreifen kann, wenn etwas sehr schnell sehr schief zu gehen droht. Viele Reiter reagieren dann aber auf das Kommando, und die Lage kann so entschärft werden. Da habe ich im Nachhinein Abbitte geleistet.

    Ich hab es meinen Lehrern und Lehrerinnen allerdings nicht immer geglaubt, dass das Pferd noch da ist, ich sehe lieber selbst nach. Immer noch und immer wieder. ;-)

    AntwortenLöschen

Empfohlener Beitrag

Eine weihnachtliche Soap-Opera aus irgendeinem Mehrzweckstall im Münsterland! Die HauptdarstellerInnen: Mäxchen Romi aka "...