Montag, 22. September 2014

Schulpferde: Ein Dandy mit flinken Zähnen

Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob Dandy überhaupt ein Pferd war.
Ich glaube eher, er war irgendein übriggebliebenes knallhartes Urviech, das auf mysteriöse Weise im Körper eines Equiden wiedergeboren wurde. Vielleicht ein langhalsiger Brontosaurus mit dem Gebiss vom T-Rex oder so.
Es gab unter den Schulpferdereitern seinerzeit niemanden, der nicht mindestens einmal von ihm gebissen wurde. Bevorzugt beim Putzen in den Arm oder in die Brust (jahaa, er hatte wohl auch eine Sammlung von zerbissenen BHs irgendwo in seiner Boxenwand versteckt, der Schelm) oder beim Aufsitzen in die linke Hüfte.
Wer Dandy putzen musste, war also eine arme Sau. Erschwerend kam dazu, dass der Wallach ein Schimmel war, der sich bevorzugt zum Schlafen in seine Äppel legte. Gut, das tun andere Pferde wohl auch, aber bei einem Schimmel sieht man es auch. Besonders seine sehr kitzlige Stelle unter dem Bauch färbte er regelmäßig in eine schmutziggelbbräunliche Nuance ein. Der strenge Reitlehrer bestand allerdings auf saubere Pferde in seinem Unterricht und so wanderte u.a.literweise Schimmelreinigungsspray (also das für weisse Pferde), Backpulver, Kohlebrocken, Gardinenweiss und ähnliches in seinen Putzkorb. Je schneller Dandy sauber war, desto weniger blaue Flecke gab es. Außerdem - die Insider wussten es - empfohl es sich, den Wallach rechts und links in der Stallgasse anzubinden. Aber ach, neben seinem schnellen Biss verfügte Dandy auch noch über ein ungemein bewegliches Hinterbein, so dass er es auch schaffte, seinem "Peiniger" die Bürste aus der Hand zu treten, wenn man zu nahe an seinem Bauchnabel putzte. Der machte keine halben Sachen.
Die zweite Gefahrenquelle war das Satteln inkl. angurten. Da flogen die Ohren nach hinten und er ließ auch oft probeweise die Zahnreihen aufeinanderknallen, so als Abschreckung. Wer dann noch cool weitersattelte, den versuchte er mit dem Vorderhuf auf den großen Zeh zu treten. Absolute Vorsicht war angesagt, denn seine Mißhandlungsversuche waren schmerzhaft und hinterliessen zuverlässig blaue Flecke!
Wer nun immer noch unversehrt mit Dandy in die Halle stiefelte und sich zum Aufsitzen auf die Mittellinie stellte, der befand sich in Phase 3: Schnellstmöglich aufsitzen und dabei den rechten Zügel so kurz wie möglich packen und bloss nicht loslassen. Sonst kam dieses unfassbar schnelle Maul und packte einen in die linke Pobacke. Und er meinte es wirklich ernst! Ohne Vorwarnung. Wer hier ausweichen konnte und sich immer noch am Boden befand, den versuchte er wieder mit dem linken Vorderbein zu erwischen.
Bevor jetzt alle denken "meine Güte, dieser Dandy war ja wirklich ein Biest, was hat denn der im Schulbetrieb zu suchen!!" muss ich jetzt ganz schnell schreiben, dass man, wenn man es erst einmal in seinen Sattel geschafft hatte, ein absolut braves und einigermaßen rittiges Pferd unter dem Hintern hatte. Den konnte nichts erschüttern, weder ein Massenbuckelnunddurchgehen der anderen Pferde noch irgendwelche Hallenmonster in den Ecken oder außer Kontrolle geratene Longenpferde. Der Lohn für die Mühen und den Angstschweiß beim Fertigmachen war ein cooles Pferd, eine Lebensversicherung auf vier Hufen.
Ich weiss nicht, wieviele Longenstunden Dandy auf dem Tacho hatte, wieviele Dressurstunden, wieviele Springstunden. Es müssen schon einige Tausend gewesen sein, denn Dandy kam 1978 als 3jähriger Rappschimmel aus Polen zu uns und verbrachte sein ganzes Leben als Schulpferd, ausgebildet von den Reitlehrern und fortgeschrittenen Schulpferdereitern im Verein. Er beherrschte Lektionen bis zur Klasse M inkl. Traversalen und fliegenden Galoppwechseln, sprang an Tagen, wo er gut gelaunt war, einen L-Parcours durch und war im Gelände zwar heiss wie Frittenfett, aber regulierbar. Achso, an Tagen, wo er weniger gut gelaunt war, machte er übrigens nicht einen einzigen Sprung in der Springstunde.
Dandy war ein überaus gesundes Pferd mit klaren Beinen und kräftigen Lungen. Das einzige Problem seinerseits war, dass er koppte und dadurch seine Vorderzähne mit den Jahren immer kürzer wurden. Seiner Beisswut und der Trefferquote tat das allerdings keinen Abbruch.
Nun, Dandy wurde schneeweisse 27 Jahre alt. Bis zu seinem 24. Lebensjahr ging er bis zu 3 Stunden am Tag, danach in Altersteilzeit nur noch eine Stunde täglich, dann bekam er einen Weideplatz mit einer Pflege- und Reitbeteiligung an der Seite und was soll ich sagen:  Auf seiner Rentnerweide wurde er immer weniger, kam mit der neuen Situation nicht wirklich zurecht und musste nach einem Vierteljahr traurigerweise eingeschläfert werden. Ein jüngeres Pferd hatte beim Fressplatz nach ihm getreten und sein Vorderbein war gebrochen. Ich persönlich glaube, sein Herz war auch gebrochen. Alte Bäume verpflanzt man nicht, alte Schulpferde auch nicht, die ja gar nicht an diese Robusthaltung gewöhnt sind. Ich trauerte sehr um Dandy, hatte er doch einen großen Teil meiner Reiterjugend begleitet und er war außerdem ein guter Freund von "meiner" Laetizia und auch meiner Copine (dieses Luder hat den alten Gentleman sogar einmal dazu gebracht, sie zu "decken!) ...
 Ein Andenken habe ich allerdings noch an den alten Kämpfer: Er biss mir in jungen Jahren einmal so feste in den linken Arm, dass ich die Abdrücke von Ober- und Unterkiefer als blaue Flecke für sehr lange Zeit als "Tattoo" spazierentragen konnte. Er hob mich quasi im Vorbeihuschenwollen hoch und setzte mich in die Ecke. Da lernte ich sehr eindrucksvoll, dass man sich niemals ohne Ansprechen einem Pferd nähern sollte. Das daraus entstandene Hämatom musste sogar punktiert werden und ich habe bis heute eine komische Delle am Arm davon.
Trotzdem habe ich ihn sehr gemocht, weil man sich als Ausbilder sehr gut auf ihn verlassen konnte und er einfach einen ungebrochenen Charakter besass. Und wenn man seine Attacken einmal kannte, konnte man auch flink und behende ausweichen und irgendwann liess er es dann auch sein. Aber man musste immer auf der Hut sein, er schulte die Vorsicht im Umgang mit Pferden (oder doch mutierten Sauriern) und jeden Handgriff mit Bedacht und Übersicht auszuführen. Seine "Mafiapflegerin" liebte er übrigens heiss und innig und hat ihr niemals ein Haar gekrümmt. Dort wieherte er, besonders wenn sie ihm eines ihrer Schulbrote mit Leberwurst drauf zusteckte, die sie für ihn aufgespart hatte. Das war übrigens die einzige Gelegenheit, ihn mal wiehern und brummeln zu hören. Ja, es war wirklich Leberwurst und ja, er stand total darauf. Eine Kolik hatte er übrigens nie!
Eine Anekdote muss ich noch erzählen und die sagt auch einiges über die Härte dieses besonderen Pferdes aus.
Es war einer jener Winter, wo Frost und Tauwetter sich abwechselten und dadurch die Leitungen der Selbsttränken extrem strapaziert wurden. Ich glaube, es war sogar Silvester, denn ich kam morgens um vier von einer Fete heim und sah, wie das Wasser unter der Schiebetüre des Schulpferdestalles hervorströmte. Ich bin also im Partykleid mit hohen Hacken in den Schacht geklettert und habe erstmal den Haupthahn abgedreht. Da es in dieser Nacht immer mal wieder aufklarte, fiel die Temperatur schnell wieder unter Null Grad und es hatte sich schon eine Eisfläche auf der Stallgasse gebildet. Als ich in Dandys Box schaute, war es seine Tränke, deren Ventil den Geist aufgegeben hatte und seine Box glich einem Tümpel, in dem Heureste, Fragmente von Sägespänen und Pferdeäppel herumschwammen. Dandy selbst war wohl die ganze Zeit in seiner Box im Kreis herumgelaufen, damit es nicht zu Eis gefror!  Er wirkte sehr erschöpft und wurde erst einmal in eine trockene warme Box verfrachtet. Dort schlief er den ganzen folgenden Tag, wir ließen ihn gewähren und rieben nur seine Beine mit Franzbranntwein ein, damit sie nicht anschwellen nach dieser Anstrengung. Es hat geholfen, 2 Tage später war er wieder fit wie ein Turnschuh und nichtmal die kleinste Galle war an seinen Sehnen erschienen.
Dandy, wo immer du jetzt steckst, du bist ebenfalls unvergessen. Ein tolles Pferd (?) das wirklich ein Denkmal verdient hätte.

Wer immer hier einen Schimmel besitzt oder pflegt, der sich hin und wieder mal im Mist wälzt, ein "loses Mundwerk" hat und Leberwurstbrote liebt, bitte mal "Hier" rufen! :-)

Liebe Grüße von
Copine (mit Dandy im Herzen)


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