Freitag, 19. September 2014

Laetizia IV - Das Ende

Der Titel deutet es schon an.
Ich würde ja gerne etwas von einem Happy End schreiben und dass Laetizia tolle Privatbesitzer gefunden hat, die ihr ein prima Luxusleben geboten haben oder oder oder...
aber das wäre nicht die Wahrheit gewesen.
Wer das ihm anvertraute Wesen wirklich liebt, der geht auch diesen letzten Weg mit ihm, ohne Wenn und Aber.
Es waren ja insgesamt vier Jahre, die ich mich beinahe täglich um die Stute gekümmert hatte. Sie wurde eines der zuverlässigsten und liebenswürdigsten Pferde im ganzen Stall und trug geduldig etliche Reitschüler durch Dressur-, Spring- und Geländereitstunden. Sie gab guten Reitern ein tolles Gefühl und mittelguten immerhin eine Ahnung von dem, was sie noch erlernen könnten.Sie warf niemanden mehr ab, weil sie wirklich verstanden hatte, was ihre Aufgabe war. Sie war regelmäßig mit ängstlichen ReiterInnen im Gelände, trug unter anderem auch mich durch die Reitabzeichen-Springprüfung, sah toll aus, bemuskelt und rund und oftmals hörte ich den Vorstand seufzen "ach, hätten wir doch noch zwei oder drei Laetizias als Schulpferd". Sie durfte mit den "Kollegen" auf ein Stück Wiese, welches wir als Schulpferdemafia dem Vorstand abgetrotzt hatten und exclusiv für unsere Lieblinge genutzt wurde. Die Privaten hatten dort nichts zu suchen. HAH! Dafür hatten wir auch tagelang Giftpflanzen ausgerupft, Zäune gezogen und Löcher zugeschüppt.
Leider litt Laetizia aber immer mal wieder unter einer sogenannten Verstopfungskolik, die der Stalltierarzt aber immer medikamentös in den Griff bekam. Selbstverständlich wurden alle Vereinspferde regelmäßig geimpft und entwurmt, daran lag es nicht. An zuwenig Bewegung allerdings auch nicht. Pellets bekam sie nicht. Hm - Vielleicht war sie ZU beliebt geworden.
Umso größer noch der Schreck, als ich eines Nachmittags in die Halle kam und meine Laetizia gerade mal nach 10 Minuten Reitstunde aus der Bahn geführt wurde.
"Hat sie wieder Kolik?!" fragte ich den Reitlehrer.
"Nein, sie lahmt ein bisschen. Vorsichtshalber soll sie in den Stall. Kannst mal vorn links gucken und kühlen."
Ich nahm sie in Empfang. Das Bein war gegen meine Erwartung allerdings nicht dick angeschwollen und sie humpelte auch nicht wie bei einem Hufgeschwür, nein, die Lahmheit war minimal und es war nichts an dem Bein zu finden, was auf eine Verletzung hinweisen würde. Sehnen und Gelenke waren glasklar und nicht erwärmt.
Vielleicht ein Hufgeschwür, was noch im Entstehen war. Morgen würde sie zum Gotterbarmen hinken, der Tierarzt würde mit der Untersuchungszange das Ding finden, aufschneiden und dann würde es abheilen. Dann würde es ihr wieder gut gehen.
Ein dumpfes Gefühl sagte mir aber, dass das nicht so sein würde.
Ich nahm sie mit in den Stall, umwickelte Bein und Huf mit Verbandswatte und Bandage und schüttete kaltes Wasser hinein. Alle halbe Stunde neu.
Am nächsten Tag nach der Schule lief ich direkt zum Verein und zu Laetizia. Traurig stand sie in ihrer Box, während die anderen Pferde gesattelt wurden. Der Reitlehrer meinte, er hätte sie draußen vorgetrabt, es wäre genau wie gestern. Tierarzt war schon bestellt.
Dieser tastete alles gründlich ab, holte auch die Hufzange und kniff den Zehenrand damit ab, fand aber nichts. Sie lahmte geringgradig, aber sichtbar. Er tippte auf eine Entzündung und spritzte ihr einen Entzündungshemmer: "Wenn es nicht besser wird, müssen wir mal röntgen" kündigte er an.
Es wurde nicht besser. Die Lahmheit blieb konstant gering. Ich wünschte mir schon sowas wie ein dickes Bein, dass man ordentlich behandeln könne, herbei. War aber nicht.
Zwei Wochen später lief sie wieder klar. Ich hatte sie im Schritt geführt und an der Hand grasen lassen. Der Tierarzt liess sie vortraben und meinte, vorsichtig wieder anfangen mit ihr.
Erfreut holte ich Sattel und Trense und durfte 20 Minuten Schritt reiten und eine Runde traben. Sie lief klar und ich freute mich. Am nächsten Tag eine halbe Stunde und nach drei Tagen auch wieder über 45 Minuten. Alles ok.
Sie ging die Woche drauf wieder einmal täglich in der Dressur-Stunde mit und alles schien easy. Springen sollte sie aber erstmal nicht, denn vielleicht hatte sie sich dabei "vertreten".
Genau drei Tage währte die Freude, da "tickerte" sie wieder. Oh man. Dasselbe Bein, nix dick, nix warm, leichte Lahmheit, aber deutlich sichtbar.
Diesmal rückte der Tierarzt mit seinem erklärten Heiligtum, dem Röntgengerät an, verteilte Bleischürzen und Anweisungen, wie der Huf und das Bein gehalten werden sollten, nachdem er das Hufeisen entfernt hatte. Laetizia liess das alles brav mit sich machen, ich hielt sie am Kopf und gab Leckerlies. Die Bilder wurden gefertigt und auch direkt entwickelt und dann machten wir uns ans Betrachten der Aufnahmen. Und die verrieten nichts Gutes.
Laetizia litt unter "Hufrolle", ein Synomym für eine unheilbare Veränderung von Strahlbein und Hufgelenk, die langsam aber sicher den Fesselträger und damit auch die Tiefe Beugesehne zerstören würde.
Mir liefen die Tränen beim Anblick des Röntgenbildes. Und damit war Laetizia als Schulpferd nicht mehr einsetzbar. Sie hatte ständige Schmerzen und das wohl schon länger, hatte es nur nicht gezeigt, dafür war ihr Gang immer weniger raumgreifend geworden und hin und wieder war sie auch schon gestolpert. Die tapfere Stute.
Bestürzung im gesamten Schulpferdestall machte sich breit. Klar, man konnte sie noch "fitspritzen", mit Spezialbeschlägen versorgen, auf eine Weide stellen. Aber es war das Jahr 1988 und die Behandlungsmethoden noch begrenzter als heute. Unheilbar, hatte der Tierarzt gesagt. Nicht mehr schmerzfrei ohne Equipalazone, was auf  Dauer Magen und Leber angreift. Für den Schulbetrieb nicht mehr einsetzbar.
Um es kurz zu machen: Wir - und damit meine ich alle, die mit ihr zu tun hatten: Reitlehrer, Schüler, Vorstandsmitglieder, Schulpferdepflegermafia, wir alle verwöhnten Laetizia noch einen Sommer lang nach Strich und Faden, brachten sie auf die Weide, sie bekam noch einen Spezialbeschlag und Medikamente, damit sie diesen einen Sommer noch schmerzfrei mit ihren Lieblingskameraden auf der Weide genießen durfte. Das war man ihr einfach schuldig nach den treuen Diensten über fast fünf Jahre, die sie geleistet hatte nach einer schwierigen Anfangsphase. Sie wurde natürlich nicht mehr geritten, ihr Sattel wurde eingemottet und weggeschlossen. Sie durfte noch mal einfach nur Pferd sein.
Dann lahmte sie auch mit der Höchstdosis Equi auf der Koppel, es war September und der Herbst klopfte an die Tür.
Laetitia wurde am Hof eingeschläfert, das erste Schulpferd, das nicht den schrecklichen Transport zum Metzger antreten musste. Ich hielt ihren Kopf im Arm, als der Tierarzt, der sich verdächtig oft die Nase schneuzen musste, ihr die Spritze injizierte.
Zwei Minuten später war alles vorbei. Der Tierarzt rief noch "Weg vom Pferd", ich sprang gerade noch zur Seite und dann  fiel sie um. Seufzte noch einmal, hauchte ihr Leben aus. Ich kniete neben ihr und küsste sie noch einmal auf die Nüstern, wie ich es so oft getan habe.
Der Tierarzt horchte noch einmal ihr Herz ab, schloss ihre Augen und nahm mich in den Arm, nun musste ich auch heulen wie ein Schlosshund. Meine Laetizia gab es nicht mehr. Ich konnte mich gar nicht mehr bewegen und zitterte doch am ganzen Körper. Unfassbar, sie war tot und würde mir nicht mehr fröhlich zubrummeln, wenn ich in den Stall kam. Sie war über die Brücke gegangen. Ich war tagelang, wochenlang wie paralysiert und nichts konnte mich aufheitern,so sehr man es auch versuchte.
Nie wieder habe ich wieder ein Pferd getroffen, was so liebevoll, sanftmütig und duldsam war wie meine Laetizia.

Heute erinnere ich mich noch oft und gern an sie, die Stute, deren Name "Die Fröhlichkeit" bedeutete. Und bin froh, sie betreut haben zu dürfen.

Was immer ihr jemals Liebenswertes habt gehen lassen müssen, behaltet stets die Erinnerung daran und erzählt davon. Dann wird es unsterblich sein.


Liebe Grüße
Eure Copine





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