Samstag, 15. August 2015

Das Märchen vom Wunderhengst "Tatilos"

Es war einmal ein kleiner schwarzer Hengst, der eigentlich nur ein Pferd war. Bis er heranwuchs, groß und schön und noch ein bißchen schwärzer wurde. Als er erwachsen war, ein paar Jahre trainiert wurde und er aufgrund seines Talentes, die Hufe im Trabe besonders hoch zu heben und ganz besonders toll seitwärts laufen konnte, bekam er von den Medien sogar den Titel "Wunderhengst" verliehen. Viele Leute kamen von weither angereist, um ihn im Dressurviereck zu sehen, die Veranstalter jubelten, das Fernsehen zeigte Interesse am sonst für sooo langweiligen Dressursport und übertrug jedesmal, wenn Tatilos irgendwo auftrat. Die Welt war schön und Tatilos und sein Reiter ein gefeierter Star.
Ein reicher Mann sah den Hengst auf jedem Turnier andächtig an und dachte sich dabei: "Wie schön wäre es, wenn Tatilos mir gehören würde. Ich würde seine Nachkommen ganz prima vermarkten und dabei noch reicher werden, als ich es sowieso schon bin. Ach, natürlich müsste er noch weiter auftreten, aber das schafft er schon. Er ist stark, schön und schwarz. Ich kauf mir den."
Gesagt, getan: Tatilos wurde für ganz viele Euros verkauft, wechselte die Nationalfarben und musste umziehen. Sein neuer Stall war der pure Luxuspalast, lauter Leute kümmerten sich um ihn und er musste für jeden Pressetermin ganz doll glänzen. Und es gab viele Pressetermine, denn Tatilos sollte schließlich der Papa von ganz vielen kleinen schwarzen Fohlen werden, Fohlen wie er selbst, als er selber noch ein Pferdekind war. Auf einer Wiese mit der Mama aufwachsen, spielen, schlafen, trinken, gedeihen.
Tatilos dachte selber oft an seine Kindheit und plötzlich fiel ihm auf, dass er - bei all' seinem Luxus! - genau dieses nicht mehr hatte: Eine grüne Wiese, Kumpels zum Spielen, Freiheit. Stattdessen hatte er einen Sandplatz und eine prächtige Reithalle, einen ergonomisch vollendet angepassten Sattel, viele eigene Pfleger und einen Burschen als Reiter, der ihm irgendwie immer nicht so recht klarmachen konnte, was genau er jetzt tun sollte: Strampeln, piaffieren, fliegende Galoppwechsel oder doch lieber traversieren?
Sein goldener Käfig wurde immer enger.
Sein Training wurde immer anstrengender.
Seine Auftritte blieben zunächst grandios, weil Tatilos eine ehrliche Haut war und wusste, was er im Viereck zu tun hatte. Aber irgendwie - verblasste der Glanz, den er einst verstrahlte, mehr und mehr.
Seine Fans jubelten noch für Tatilos, aber nicht mehr so sehr für seinen Reiter. Besonders im Internet musste der junge Bursche viel Schmach und Schande über sich lesen. Darüber hinaus erkrankte er auch noch und alle Auftritte, auch die olympischen, mussten leider abgesagt werden. Auch wenn die Kampagne "Tatilos ist mein bester Freund" mit schicken Postern und Tassen mit dem Abbild der beiden im vollen Gange war.
Als der Bursche wieder halbwegs gesund war, machte die Meldung "Tatilos verletzt sich am Bein" die Runde in den Medien. Viele bedauerten das, denn der prächtige Hengst sorgte bei Turnieren für volle Zuschauerränge, jeder wollte ihn mal live gesehen haben. Zeitgleich gab es aber auch kritische Stimmen wie "Tati hat eine Doppelbelastung mit Deckgeschäft und Turnieren, das kann ja nicht lange gut gehen" und auch der Reiter musste mehr und mehr Kritik einstecken. Aber der hatte sein Internet schon abgemeldet und bekam ein anderes Pferd zum Reiten.
Tati stand nun in seinem Luxusstall, bekam Medikamente und Streicheleinheiten, aber eines bekam er nicht: Eine grüne Wiese zum Auskurieren. Lediglich ein paar Minuten am Halfter mit Kette für den einen oder anderen Reporter durfte er den gepflegten Rasen vor dem Luxusstall abknabbern. Für das Foto mit der Unterschrift "Tatis Reha im Grünen".
Nach einer ganzen Weile durfte er wieder trainieren und bekam einen neuen Trainer, einen, der richtig viel Ahnung hat. Etwas später gab es wieder Neuigkeiten: Toti würde wieder einmal auftreten, und schon schoss die Medienpräsenz hoch: Gazetten berichteten über das überraschende Comeback, Fotografen fotografierten ihn auf dem Abreiteplatz, Fans kauften Eintrittkarten ... aber was war das: Tati schaute irgendwie anders aus als früher, nicht mehr ganz so schwarz, so glänzend, so exaltiert und er hatte sich eine Kopfhaltung angewöhnt, die nun viel diskutiert wurde. Der neue Trainer hatte ihm das (wieder) so beigebracht, um wieder auf die Erfolgsspur aus alten Zeiten zu kommen.
Es wirkte nicht wie früher.
Auf allen Bildern sah Tatilos teilnahmsloser, angestrengter, blasser aus. Auch die Rekordnoten erreichte er nicht mehr. Den Weltrekord hatte inzwischen ein anderes Pferd, das nicht einmal ein Wunderhengst war.
So zerbröckelte der Mythos Tatilos immer mehr und aus der Begeisterung wurde Mitleid.

So könnte dieses Märchen enden:

http://www.st-georg.de/news/dressur/em-aachen-76-prozent-fuer-totilas-und-ein-grosses-fragezeichen/

http://www.st-georg.de/news/dressur/breaking-news-em-aachen-totilas-in-klinik-statt-grand-prix-special/

Tut es aber nicht. Denn dies hier ist ja ein Märchen und nicht die Realität.

Denn eine schöne junge wohlhabende Frau liest alles, was die Zeitungen und das Internet über Tatilos schreiben und denkt sich: "Wie schön wäre es doch, dem Hengst ein tolles neues Zuhause zu geben, wo er wieder ein Pferd sein darf und sich wälzen und herumtollen kann nach Herzenslust? Vielleicht wird er dann wieder ganz gesund. Wir haben doch noch Platz im Stall für so ein tolles Pferd!"
Denkt es und ruft flugs den Besitzer an. Der sagt: "Wir haben nur Ärger mit ihm gehabt, nimm ihn und gib mir das, was er mich gekostet hat (ganz ganz viele Euros, wir erinnern uns!) dann ist er dein."
Die junge Frau freut sich, fährt mit ihrem schönsten Pferdeanhänger los und kommt abends mit Tatilos wieder heim.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Wie im Märchen.

Liebe Grüße
euer Copinchen (heute mal als Märchentante) ;-)

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