Kennt ihr das, wenn ihr in einer völlig ungewohnten Umgebung wach
werdet und erstmal sortieren müsst, wie ihr dorthin gekommen seid?
Und warum?
Anscheinend erging es den Tieren ganz ähnlich, denn Hündin Dolly
stand auf einmal Nase an Nase mit mir in dem Schlafzimmerchen des
kleinen Ferienhauses, in dem ich die untere Etage des praktischen
mehrstöckigen Bettes belegt hatte. Sie schien sehr in Sorge zu sein,
dass wir ihr Futter vergessen haben könnten, denn sie fiepte und
schleckte sich ein paarmal um die Lefzen.
Ihr eigentliches
„Herrchen“, mein Bruder, lag im oberen Bett und schlief noch tief
und fest und Dolly war anscheinend happy, wenigstens mich gefunden zu
haben. Mein Rüde Axel stand derweil in der Zimmertür, die Dolly wie
auch immer geöffnet hatte und schaute missbilligend auf seine
aufdringliche Gefährtin. Nie im Leben hätte er selber es sich
erlaubt, einfach an ein Bett zu treten und auf seine Fütterung zu
bestehen! Axel hatte eine hervorragende Erziehung genossen, und wie
(fast) jeder Vertreter seiner Rasse war er sehr pflichtbewusst und
stets zu Diensten. Dolly bildete in dieser Hinsicht offensichtlich
eine große Ausnahme, denn sie trug wohl die äußerlichen
charakteristischen Rassemerkmale eines Deutschen Schäferhundes,
besaß sogar hervorragende, beglaubigte Papiere mit mehreren
Bundessiegern im Stammbaum. Vom Betragen her war sie aber eher das
komplette Gegenteil von Axel, der – so bildete ich mir jedenfalls
ein – immer wieder mißbilligend eine Augenbraue hochzog, wenn die
Hündin wieder einmal gegen seine fest verankerten Statuten verstieß.
Axel – man erinnere sich, meine Oma fand ihn im Tierheim so
toll, dass sie ihn sofort für mich adoptierte – war nicht nur
äußerlich eine Augenweide von einem Schäfi, er besaß auch die
nötige Contenance, um als Familienhund auch in Gesellschaft nur
positiv aufzufallen. Axel zog bei Spaziergängen nicht an der Leine,
sondern „fragte“ gewissermaßen nach, ob er hier und da mal
stehenbleiben und schnuppern durfte, wenn eine Stelle am Weg ihn
besonders in die Nase stach. Axel wartete vornehm, bis er sein Futter
vor der Nase stehen hatte, und erst wenn man ihm quasi erlaubt hatte,
seine Schnauze in den Napf zu stecken, nahm er die Nahrung zu sich.
Er fraß auch niemals alles auf einmal auf, sondern dosierte sich
selbst sein Futter – was ihm oft genug zum Verhängnis wurde, wenn
Dolly noch Hunger auf einen Nachschlag hatte. Mit der Zeit fraß Axel
schließlich doch immer alles auf einmal auf. Allerdings wäre ihm
nie eingefallen, Dolly wegen ihrer Verfressenheit zu maßregeln. Das
war nicht seine Aufgabe, das wusste er genau. Ich glaube, Axel fand
Dolly in den Anfangszeiten ziemlich unmöglich und wirkte gar ein
wenig oberlehrerhaft und arrogant, wenn sie etwas angestellt hatte
(und oh, sie hatte eine Menge angestellt!) aber mit der Zeit
entdeckte er sein Herz für die arme, mißhandelte Hündin und später
wurden sie geradezu unzertrennlich. Was aber nicht heisst, dass Axel
nun alles toll fand, was Dolly so machte! So wie heute morgen zum
Beispiel.
Kaum öffnete ich ein Auge, schon fühlte ich Dollys Zunge auf
meiner Nasenspitze. Hmpf. Endlich mal Ferien und dann kann man noch
nicht mal ausschlafen. Mein Blick fiel auf den Reisewecker: Halb
fünf!
Draußen war es aber schon hell, die Sonne arbeitete sich gerade
durch die Dünen am Horizont hoch. Verschlafen stand ich auf, öffnete
die Terrassentüre und trat ins Freie. Diese Stille, diese Ruhe, in
der Ferne das Meeresrauschen. Herrlich.
Dolly trat ebenfalls nach draußen. Plötzlich wurde ihr Blick
starr, sie lauschte mit ihren Riesenohren in den Ferne und ZACK! -
weg war sie! Nur ein paar Sekunden später erblickte ich sie im
gestreckten Galopp durch die Dünen rennend, schon in einiger
Entfernung. Mittlerweile hatte Axel ihre Position neben mir
eingenommen und beinahe schien es, als würde er den Kopf schütteln.
Diese Göre! Schien er zu denken, denn schließlich war Axel schon 9
Jahre alt und Dolly erst 3.
„Axel, los, wir müssen sie wieder einfangen! Wenn die wieder
was anstellt! Du kennst sie doch!“
Ein wenig panisch war ich schon, als ich sie so hin- und herrennen
sah im goldenen Sonnenlicht. Sie schien die zahlreichen
Dünenkaninchen zu verfolgen. Auch zu Hause machte sie immer mal
wieder mit ihren Jagdhundeskapaden von sich reden. Sie rannte dann
einfach los, in den Wald hinein und kümmerte sich nicht um unser
Hinterherbrüllen oder gar Verfolgen! Die war einfach weg!
Irgendwann, nach einer halben oder auch 2 Stunden, tauchte sie dann
wieder an dem Punkt auf, wo sie weggelaufen war, erschöpft, schwer
hechelnd, zerkratzt und voller kleiner Ästchen und Dornen überall
und ließ sich einfach neben Axel auf die Seite fallen. Erschöpft
zwar, aber anscheinend glücklich...
Leider konnten wir ihr daheim diese Ausflüge nicht erlauben,
deshalb blieb sie im Wald konsequent an der Leine. Aber hier..... es
schien ja niemanden zu stören um diese Uhrzeit, oder...?
Axel fand es zwar nicht richtig, sie einfach laufen zu lassen, war
aber - ebenso wie ich – noch nicht ausgeschlafen genug, um die
Verfolgung der blitzschnellen Hündin aufzunehmen. Und wir wussten ja
beide, dass sie wieder zurückkehren würde. Morgens um halb fünf
ist die Welt ja immerhin noch in Ordnung, oder?
„Axel, lass sie mal“, sagte ich zu dem immer noch unruhig hin-
und hermarschierenden Rüden. „Die kommt doch wieder.“
Axel legte besorgt die Stirn in Falten, wie nur Schäferhunde das
können. Und vielleicht noch Bassets. „Das ist gegen die Regeln!“
schien er zu sagen. „Verboten!“
„Wir sind doch im Urlaub. Zuhause ist es wieder verboten, ok?“
beruhigte ich den Ordnungsfanatiker.
Dafür würde mir Markus Rüttger, der Hundeprofi, zwar ziemlich
die Ohren langziehen, aber hey, ich war ja immerhin selber erst 13
Jahre alt. Ich hatte sozusagen wohl noch Welpenschutz.
So saßen Axel und ich in der phantastisch aufgehenden Morgensonne
draußen, betrachteten die sich wunderbar verändernden Farben und
vergaßen dabei Gott & die Welt, die Familie und auch Dolly. Doch
plötzlich kam etwas Dunkles auf uns zugerannt, mit schlappernder
Zunge, schwer hechelnd, zerkratzt und überall mit kleinen Zweigen
und Kletten übersät, und ließ sich einfach neben Axel auf die
Seite fallen. Schnell hoben und senkten sich ihre leider immer noch
gut sichtbaren Rippen. Ich stand auf und holte eine Schale Wasser für
sie. Axel ließ ihr wie immer vornehm den Vortritt und wartete, bis
sie erholt genug war, um wieder aufzustehen und zu trinken.
Dieser Moment hat sich so intensiv in mein Gedächtnis
eingegraben, dass ich ihn hier unbedingt niederschreiben musste. Es
war einer der tollsten Morgenstunden, die ich je erlebt hatte: Allein
mit diesen völlig unterschiedlichen Hunden gleicher Rasse, früher
als früh, und dazu die faszinierende Natur der dänischen Küste.
Noch heute freue ich mich über jeden schönen Sonnenaufgang und
denke – wenn es dann endlich golden über die Hügel leuchtet –
an meinen Axel und Dolly zurück und an das, was mir beide bedeutet
haben.
Morgendliche Grüße vom
Copinchen! :-)
P.S.: Dolly ging von nun an jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe
auf Karnickeljagd, war aber für die kleinen braunen Nager zu
langsam, denn sie brachte nie ein Beutetier mit. Wahrscheinlich
erzählen sich die dänischen Kanichen immer noch kichernd die
Legende von dem großen sabbernden Ungetüm mit den Segelohren, dass
wohl auf indianisch „Veganer“ genannt würde – das heisst ja
übersetzt: „Zu doof zum Jagen!“ ;-)
BEYOND GOOD AND EVIL - WELCOME TO MY WORLD! Das Leben ist kein Ponyhof und manchmal bekommt die zweite Maus erst den Käse. Hier bekommt ihr einen kleinen Eindruck meiner Gedanken über alltägliche Dinge, mit denen wir uns herumschlagen müssen, meine Tiere und den Rest der Welt. :-) Ihr könnt mich auf Twitter treffen unter @Copine001!
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