Es war ein für Mitte Dezember recht milder Samstagabend, ich hatte das
Fenster weit geöffnet und nach einer Weile fiel mir ein lautes "MIAU!
MIAU!" auf. Seltsam, die Stallkatzen machten normal doch keinen solchen
Lärm! So schaute ich aus eben jenem Fenster und blickte aus dem 3. Stock
von oben auf ein paar große rosa Ohren mit einem langen schmalen
dunklen Körper dran. Ouha, das war keine von unseren Mäusepolizisten.
"MIAU! MIAU!"
Wohlweislich ließ ich meinen Hund Rowdy, der gerne auf die Stallkatzen
Jagd machte, im Haus und lief die Treppen herunter, um die kleine
Radaumieze mal näher in Augenschein zu nehmen. Sie blieb wie angewurzelt
sitzen, als ich mich ihr näherte, und blickte mir unverhohlen, aber
auch erwartungsvoll in die Augen.
"Meauuuuu?" fragte sie mit schiefgelegtem Köpfchen, was bei ihren großen
rosa Ohren - ich erwähnte sie schon - recht witzig aussah. Ansonsten
hatte sie ein weisses Gesichtchen mit grünen Äuglein, die gerade ein
wenig traurig umflort ausschauten, und einen schmächtigen Körper mit
Grautigerflecken im ansonsten weissen Fell.
Ich interpretierte ihre Frage richtigerweise mit "Hallo du, ich hab
einen Mordshunger, du hast nicht zufällig etwas zu futtern für mich?"
Als Pferdewirtin hatte ich wohl ein Gespür für hungrige Vierbeiner. 62
Pferde schauten mich immerhin 3x am Tag so an!
Dass die kleine Mieze nicht mit den Hufen bzw. Pfoten scharrte, stufte
ich als gutes Benehmen ein und machte mich auf den Weg in die
Futterkammer, in der katzenliebende Pferdebesitzer regelmäßig ihr
Scherflein für die schadnagerbekämpfenden Stallkatzen hinterließen. Weil
es fast schon Weihnachten war, fanden sich hier in diesen Tagen
besonders großzügige Futterspenden für die3 fleißigen Katzen, die die
Ställe, die Hallen und die Futter- und Sattelkammern mäusefrei hielten.
Das war schon eine Menge Arbeit und die sollte gut belohnt werden.
Ich schnappte mir eine Dose, einen Napf und einen Löffel und ging zurück
zu der Fundkatze, die sich nicht vom Fleck gerührt hatte, ihrem Hunger
aber weiterhin lautstark Ausdruck verlieh. Auf einmal kam Leben in die
kleine Katze, die so um die vier Monate alt sein mochte, vielleicht auch
jünger. Ihr Körper war wirklich sehr klein, zierlich und schmal, das
einzige, was an ihr in den letzten Wochen gewachsen zu sein schien,
waren - erwähnte ich es bereits? - ihre großen rosa Ohren.
Das Geräusch, wenn man eine Katzenfutterdose öffnet, schien ihr
vertraut, denn jetzt verlor die kleine Mieze endgültig die Contenance
und trippelte und maunzte und rieb sich an meinen Beinen, um auch ja
schnell eine Mahlzeit zu bekommen. Und so schnell, wie die erste Portion
in dem Minimagen verschwand, folgte auch eine zweite, eine dritte und
eine vierte. Die Dose war komplett leer, als die fremde Katze sich
setzte und anfing, sich mit den Pfoten ums Mäulchen zu putzen. Ihr Blick
traf meinen und es war wohl ein dankbarer Blick.
"Sag mal, wo kommst du denn nun her?" fragte ich mit einem Blick auf
ihre plötzlich etwas rundere Körpermitte. Dann fiel mein Blick auf einen
Karton mit Löchern drin, der auf dem Parkplatz stand...
"Oh nein, du arme Maus. Du bist doch wohl nicht ausgesetzt worden?" Ich
streichelte ihr über das kleine Köpfchen und sie putzte meinen
Ringfinger gleich mit. Vielleicht klebte da auch noch ein bißchen Futter
dran. Vielleicht fand sie die Berührung aber auch ok.
"Hey, du brauchst einen Namen, wenn du bleiben willst", teilte ich ihr
mit und überlegte. Große rosa Ohren auf dem weissen Gesichtchen, fast
wie die Schleife auf dem Kopf von ....Daisy Duck. Da das Kätzchen aber
ansonsten keinerlei Ähnlichkeit mit einer Ente aufwies, musste der
Vorname reichen!
"Ich glaube, du bist eine Daisy. Ja, das passt gut zu dir! Eine kleine
Daisy, die ganz viel Hunger hat!" merkte ich an, als die Frischgetaufte
erneut ein das Köpfchen schieflegte und steinerweichend zu maunzen
begann. Anscheinend hatte sie ihrem eigentlichen Besitzer bereits die
Haare vom Kopf gefressen, dachte ich amüsiert, was eine Aussetzung
natürlich auf keinen Fall rechtfertigt! Und so holte ich eine zweite
Dose aus der Futterkammer...
Der Wind hatte sich gedreht, es wurde auf einmal kühler und ich nahm
Daisy mit ins Gebäude. Wegen meinem Hund konnte sie bei mir nicht
wohnen, aber es gab einen großen, gut beheizten Waschraum mit vielen
Pferdedecken und auch Katzenkörben, in denen die Mäusefänger sich nur
allzugerne tagsüber ausruhten. Der Raum war sogar mal vom Stallmeister
mit einer Katzenklappe ausgestattet worden. Ich machte Daisy ein
gemütliches Plätzchen zurecht, legte sie da ab und setzte mich auf
einen Stapel Decken, um sie noch ein wenig zu beobachten. Sie schnurrte
wie der alte Deutz-Traktor, der draußen stand, machte ihre grünen
Äuglein zu und schlief zufrieden ein. Ein Klappern verriet, dass wir
gleich Gesellschaft bekommen sollten: Die Klappe ging auf und herein kam
Tarzan, der Rentnerkater, der nur noch einen Fangzahn besaß und einen
halben Schwanz, der aber Großmeister im Mäusefangen und immer noch
unangefochtener Anführer der Stallkatzen war. Tarzan betrachtete seine
neue "Praktikantin" kurz, schnüffelte sie von oben bis unten ab und fiel
zum Schluss der Begrüßung in ihr lautes Schnurren ein. Sie war
akzeptiert.
Daisy lebte viele Jahre auf unserem Reiterhof und fing unzählige Mäuse,
die sie auch alle in der Regel komplett auffraß. Neben diesen
Frischfleischmahlzeiten war sie bei sämtlichen Fütterungen anwesend,
bekam sogar oft noch einen Nachschlag. Außerdem mochte sie Speisen wie
trockenes Pferdebrot, belegtes Schulbrot von den Mädchen -am liebsten
mit Leberwurst, aber eigentlich egal-mit-was-drauf und machte auch vor
Gurkenstücken und Äpfeln nicht halt. Wie oft hörte man ein "Oh nein, Daisy, das ist doch MEINS!" aus der Sattelkammer oder der Tribüne in der Reithalle, wenn mal wieder eines der Mädels ihre Tasche nicht richtig verschlossen hatte. Die Räuberin blieb aber trotz dieser üppigen Versorgung rank und schlank und wurde dazu noch zu einer richtig großen Katze. Sie dankte es auf ihre ganz eigene Art und Weise: Daisy mit den großen rosa Ohren
(erwähnte ich die schon?) war mit Abstand das verfressenste Wesen im
ganzen Stall und stellte sogar die Shetlandponys in den Schatten. Als
Ausgleich haben wir noch nie eine Katze gehabt, die virtuos Mäuse quasi
im Flug fing und in der nächsten Sekunde schon getötet und gefressen
hatte. Frisch schmecken sie eben am besten.
BEYOND GOOD AND EVIL - WELCOME TO MY WORLD! Das Leben ist kein Ponyhof und manchmal bekommt die zweite Maus erst den Käse. Hier bekommt ihr einen kleinen Eindruck meiner Gedanken über alltägliche Dinge, mit denen wir uns herumschlagen müssen, meine Tiere und den Rest der Welt. :-) Ihr könnt mich auf Twitter treffen unter @Copine001!
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