Sonntag, 29. April 2018

Wartezimmer from Hell: Schöne neue Welt!

Tja, wenn man so ausgeliefert in einem Wartezimmer beim Zahnarzt sitzt, schießen einem ziemlich viele Gedanken durch den Kopf, aber einer überlagert sie alle mühelos. Und der brüllte mittlerweile durch meine Hirnwindungen: "WANN BIN ICH ENDLICH DRAN UND WERDE MEINE SCHMERZEN LOS?" Und direkt dahinter her: "SOS! MAYDAY! HOLT MICH HIER RAUS!" denn der kleine Max bekam nun langsam, aber sicher seine 5 Minuten des Rabaukentums. Längst gab er sich nicht mehr damit zufrieden, mit der flachen Hand an die Wände zu klatzen oder den Matchboxautos eine neue Funktion als Flugobjekte zu verleihen. Nein, nun bekam er auch noch Hunger und die draußen brausende Kirmes bot ja so einiges an Leckereien, gerade für die Kleinen.
"ICH WILL EIN EIS, MAMA!" tat er plötzlich mit kräftiger Stimme kund, dringend an seine Erziehungsberechtigte gewandt.
"Gleich, Schatz. Der Papa muss erst noch..."
"NICHT GLEICH! JETZT! SCHOKO UND VANILLE!" Mäxchen machte gleich Nägel mit Köpfen und gab seine Bestellung auf.
Die Mutter, immer noch in eine Ausgabe der "Landlust" vertieft, schien derlei schon gewöhnt, denn sie blickte nicht mal auf. Stoisch wiederholte sie ihr "Gleich, Schatz, der Papa muss erst.." um an gewohnter Stelle von den Forderungen des Youngsters unterbrochen zu werden. Respekt an die Geduld der Mittzwanzigerin, die hatte anscheinend Nerven wie Drahtseile.
So ging es noch ein wenig hin und her und Loriot hätte an der Szene seine helle Freude gehabt. Ich auch, wären da nicht diese pochenden Schmerzen mit Klopfen und Kieferklemme..
Die magische Tür öffnete sich jetzt wieder und ich hob so hoffnungsvoll den Kopf, als wäre ich eine Verdurstende und jemand reichte mir die letzte Cola vor der Wüste. Aber nein, ein weiteres Frau-Kind-Gespann betrat das Wartezimmer und nahm Plätze ein. Hier handelte es sich aber offenbar bei dem blondschopfigen Jungen um den Patienten, denn er hielt sich die Wange. Die Dame war wohl auch nicht die Mutter des Jungen - ich nenne ihn jetzt mal Moritz - denn sie telefonierte hektisch und gestresst mit wohl eben dieser. "Die Gesundheitskarte hast du.. ja... wann geboren? Ach ja stimmt.... ach, das wird schon nicht so schlimm sein... was? Nee, der sitzt hier neben mir...sind noch 3 vor uns, ja... ja.... das kann noch ein bißchen dauern..... Ok, wir sehen uns. Tschau!"
Hm, dieser Moritz schien das genaue Gegenteil vom Max zu sein. Leise und bleich saß er still auf dem Kinderstühlchen, schüchtern wagte er gar nicht, irgend etwas anzufassen. Während Mäxi immer noch lauthals sein SchoVani-Eis forderte.
Kam ich aus diesem Vorhof der Erziehungshölle jemals wieder heraus? Oder irgendeiner von diesen Personen? Mir kam der Song von den Eagles in den Sinn, Hotel California, und besonders die Textzeile "You can check in every time you want, but you'll never leave..." Ja, willkommen beim Zahnarzt California, mitten in einer bekirmesten Kleinstadt im nördlichen Münsterland. Loriot würde mittlerweile wohl ausrasten vor Begeisterung, würde er noch unter uns weilen.
Das Muttertier schien nun endlich mit der April-Ausgabe der "Landlust" durch zu sein und plötzlich funktionierten ihre kognitiven Fähigkeiten wieder. Sie sprang auf, reichte dem Sprößling seine Jacke und verließ eilig das Wartezimmer. Mit ihm, was ich als sehr wohltuend empfand! Hach! Endlich Ruhe im Saal!
Tja, das dachte ich jedenfalls, denn auf einmal schien sich Moritz an seine Sprache zu erinnern und nörgelte los: "Dauert das noch lange? Mir ist laaaangweiliiig!"
Oh nein, nicht der jetzt auch noch.
Die Dame schob ihm ein Bilderbuch hin. Das gute alte Bilderbuch würde augenblicklich wieder für Ruhe sorgen. Ein Hoch auf..
"Ach maaa. Das kenn ich schon", begehrte der Blondschopf auf und das wiederholte sich bei allen 4 vorhandenen Bilderbüchern. Offenbar saß Moritz öfter in Wartezimmern herum.
Auf einmal hatte die Dame eine ganz grandiose Idee: Sie tippte was auf ihrem Smartphone ein und plötzlich brachen Bagger, Maschinengewehre, Silvesterraketen und Hubschrauber über das kleine Wartezimmer herein. Meine unbegeisterte Mine dazu wurde konsequent ignoriert. Was zum Teufel...?
"WILLKOMMEN ZU EINER NEUEN EPISODE VON 'LEGOLAND IST ABGEBRANNT' auf YOUTUBE. GLEICH GEHTS WEITER NACH EINER KURZEN WERBEUNTERBRECHUNG!"
Das träume ich doch jetzt nur, oder? So wie diese gesamte Zahnschmerzsache doch eigentlich nur ein Alptraum sein kann. Oder? ODER?
Nein. Es ging nach der kurzen Werbeunterbrechung weiter mit dem abgefackelten Legoland, und zwar in voller Lautstärke. Hatte die Dame noch nichts von der segensreichen Erfindung der Ohrstöpsel gehört, die man in einem solchen Fall gerne verwendet? Zur Schonung der noch nicht abgeburnten Umwelt?
Anscheinend nicht, denn sie widmete sich nun in aller Gemütsruhe der Lektüre einer Ausgabe von .. na ratet mal... richtig: Der Landlust.
Nach weiteren 3 Folgen von "LEGOLAND IN GEFAHR" fand sich auch Mäxchen mitsamt Mutter und einem Rieseneis Schoko-Vanille wieder im Wartezimmer ein.
"OH GEIL, JUTJUP-LEGOLAND! MAMA, MACH MA MEIN TABLET AN!"
Und so kam es, dass ich simultan in den Genuss von 2 verschiedenen Episoden von "LEGOLAND IST ABGEBRANNT" kam und ich weiss gar nicht, welche mehr in meinem Schädel dröhnte. Immerhin hielten Max & Moritz derweil die Klappe und als ich ENDLICH ins Behandlungszimmer gerufen wurde, warf mir die Sprechstundenhilfe einen vielsagenden Blick zu.
"Schöne neue Welt, nich?"
Ich nickte bejahend, bevor ich mich in den gefürchteten Stuhl des Zahnarztes begab. Heute aber kam er mir vor wie der Himmel auf Erden.

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